How to be happy

Es gibt eine Party, und wir sind eingeladen. Und nicht nur wir. Vor allem sind auch Toni und Shirvan, Katinka, Lizzy, Leo, Juli und all die anderen dabei – deswegen ist es heute im Büro auch ziemlich eng.
Franzi und Julia haben es geschafft, sich einen Platz auf dem Sofa zu sichern, Jenny hockt immerhin noch auf der Lehne. Die anderen haben sich Bürostühle herangezogen.
“Eng ist gemütlich”, sagt Kira nach der großen Vorstellungsrunde und zückt das Diktiergerät.
“Kims neues Buch ‘Ascheblüte’, das bei der Party vorgestellt wird, läuft unter dem Reihentitel How To Be Happy. Und darüber wollen wir heute reden. How to be happy? – was bedeutet Glück für uns?”

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Unsere Partygäste sind:
Toni und Shirvan aus “Es war einmal Aleppo”
Katinka aus “Keep on Dreaming”
Juli aus “Me, without Words”
Leo und Loris aus “Wenn ich dich nicht erfunden hätte”
Lizzy aus “Und irgendwo ich”
Nicholas aus “Wolkendämmerung”
Nico und Leany aus – Na ja, aus Danielas Buch, das vielleicht verflucht ist. Der Titel ist noch geheim.

Daniela kommt mit einer Kanne frisch aufgebrühten Tees dazu. “Kann mir jemand mit den Tassen helfen?”
Shirvan springt auf. Er verbirgt es gut hinter einem höflichen Lächeln, aber trotzdem ist ihm anzusehen, dass “Glück” für ihn im Moment eine Bedeutung hat, die wir anderen kaum erfassen können. Es ist sein Heimatland, das in Schutt und Asche liegt, seine Stadt, die er nie wieder so sehen wird, wie er sie als Kind kannte.
Loris drückt sich vom Türrahmen ab und trödelt Daniela hinterher. “Nicht mein Thema, Leute, sorry.”
“Wer hätte das gedacht”, murmelt Leo, aber nur die, die direkt neben ihr sitzen, haben das gehört.
Die anderen denken nach. “Glück wäre eigentlich ganz einfach, glaub ich”, meint Toni. “Etwas Sinnvolles tun. Raus aus der eigenen Bequemlichkeit. Raus aus der eigenen Angst.” Gedankenverloren fährt sie mit dem Finger den Henkel der Teekanne nach.
Juli schaut zweifelnd. “Und das ist einfach?”
“Wenn man es geschafft hat, erscheint es zumindest so.” Tonis Lächeln erinnert ein bisschen an Shirvans. “Ich geh denen mal eben in der Küche helfen, okay?”
Es fällt den anderen schwer, nach diesen ersten Gedanken noch ihre Vorstellungen von Glück zu formulieren – natürlich ist Glück für jeden etwas anderes, aber wenn man sich Shirvan gerade ansieht …
Lizzy versucht es irgendwann dennoch: “Glück gibt es nicht, oder wenn, verfliegt es, kaum dass man es eingefangen hat. Es schlüpft durch die kleinsten Löcher, und eigentlich bemerkt man es erst wirklich, wenn es fehlt. Dachte ich. Oder nein, eigentlich glaube ich das immer noch, aber ich glaube ebenfalls, dass es vielfältig ist und wandelbar, und manchmal ist es so groß, dass es fast das Herz zersprengt und überall schmerzt, und manchmal ist es nur dieses winzig kleine, unterschätzte Gefühl von Zufriedenheit. Letztlich bin ich zum Beispiel sehr glücklich darüber, Freunde zu haben. Freunde, die für dich da sind, auch, wenn deine Heimat irgendwo und nirgends ist.”
Die anderen murmeln zustimmend und strecken die Hände nach den Tassen aus, die Shirvan, Toni und Daniela gerade aus der Küche gebracht haben.
“Freunde”, bestätigt Juli, und auch Leo und Katinka nicken. “Zu wissen, mit wem man reden kann, wenn man jemanden zum Reden braucht. Zu wissen, dass es Menschen gibt, die dich lieben und für dich da sind.” Sie lehnt sich mit ihrer Tasse auf ihrem Stuhl zurück.
“Und die dir im Zweifelsfall den Arsch retten”, ergänzt Nicholas. “Sagt man das so?”
Bisher hat er still in der Ecke gestanden. Jetzt drehen sich alle zu ihm um.
“Kann man so sagen”, erwidert Lizzy und lächelt.
“Glück kann auch in kleinen Dingen liegen. Die vielleicht gar nicht so klein sind, wenn man genauer hinschaut.” Katinka sieht aus, als würde sie gerade mit ihrer Tasse sprechen. “Ich glaube, es ist sogar wichtig, dieses Glück nicht zu übersehen. Das kann Musik sein oder ein Bild, ein Buch, ein Gespräch, irgendwie …” Sie bricht ab, unsicher, ob ihre Gedanken zu diesem Thema nicht vielleicht doch zu … klein sind. Nach einem Blick in Jakos Gesicht nickt sie jedoch noch einmal, und Juli nimmt den Faden wieder auf. “Ich glaube das auch. Ich denke, gerade, wenn man das Gefühl hat, dass um einen herum alles in Trümmern liegt” – sie lächelt Shirvan fast entschuldigend zu – “ist es wichtig, dass man nicht aus den Augen verliert, dass es vielleicht auch noch sehr, sehr winzige Dinge gibt, aus denen man Energie und … Zuversicht ziehen kann. Um die großen Dinge irgendwie zu überstehen. Und vielleicht sogar eine Lösung zu finden.”
Shirvan erwidert Julis Lächeln. “Es bleibt die Sehnsucht nach dem großen Glück, das Bedürfnis nach Heilung, nach Rückkehr, nach Leben. Aber es stimmt, ja. Wenn man die Augen gänzlich vor den kleinen Dingen verschließen würde, wenn man sie nicht mehr erkennen könnte … Man würde morgens irgendwann einfach nicht mehr aufstehen.”
Aus der Küche hört man das Klicken eine Feuerzeugs.
Leo springt auf und eilt davon. ”Der hat sie ja wohl nicht mehr alle. Arschloch.” Kurz darauf hört man zorniges Zischen und gleich darauf Wasser fließen. Als Loris zurück in den Besprechungsraum kommt, grinst er entschuldigend.
“Was ist Glück für dich?”, fragt Juli.
“Nicht mein Thema, hab ich doch …” Er sieht auf den Boden. “Strandspaziergänge in der Nacht. Freiheit. Im Wesentlichen Freiheit.”
Von Leo kommt ein verächtliches Schnauben, aber Nicholas grinst. “Beim Strand sind wir uns einig. Na ja, bei der Freiheit eigentlich auch.”
Strand … Spaziergänge … mit einem Mal wird es still im Raum. Alle starren für eine Weile vor sich hin, vermutlich deshalb, weil jeder seine eigenen Bilder verfolgt.
“Keine Schmerzen zu haben”, sagt Daniela plötzlich, mitten in die Stille hinein. “Das allein ist für mich schon das größte Glück.”
Alle heben ihre Köpfe und schauen irritiert zu Daniela, die mit einer Tasse Tee und einem Keks in ihrer Hand etwas abseits steht. Bis jetzt haben die Ink Rebellinnen ja nicht viel gesagt und nur ihren Gästen zugehört. Aber Danielas Romanfiguren sind nicht gekommen.
“Wo sind eigentlich deine Gäste?”, fragt Kira. “Hast du deine Figuren nicht eingeladen? Weil sie noch nicht veröffentlicht sind?”
Daniela räuspert sich unbehaglich. “Das … also, na ja. Es kann schon sein, dass ich sie eingeladen habe. Aber ich glaube nicht, dass sie kommen. Sie mögen keine Partys. Und … fremde Menschen sind auch nicht so ihr Ding. Außerdem …” Daniela lacht nervös. “Mich wollen sie bestimmt nicht sehen. Vielleicht hassen sie mich sogar. Nach allem, was ich ihnen angetan habe.”
Mit einem Mal gucken alle Gäste zu Daniela. Die meisten schauen ein wenig unbehaglich – vermutlich, weil es sehr seltsam ist, wenn man plötzlich seinem “Schöpfer” gegenübersteht. Nur Loris grinst. Und Shirvan nickt wissend.
Die Spannung löst sich erst, als Jenny in schallendes Lachen ausbricht. “Das ist typisch Daniela”, erklärt sie. “Bei uns steht sie in dem Ruf, ihre Figuren besonders leiden zu lassen.”
“Noch mehr als du?” Toni schaut Jenny ungläubig an.
Als wäre dies das richtige Stichwort, sehen plötzlich alle Gäste zu ihren Autorinnen. Sind das etwa Vorwürfe in ihren Blicken? Oder nur ein bisschen Skepsis? Über mangelndes Leid kann sich jedenfalls keiner beklagen.
“Das ist doch nur …” Daniela klingt hektisch. “Wenn wir euer Glück zeigen wollen, dann müssen wir euch auch leiden lassen. Wenn immer nur alles schön wäre, würde man das Glück gar nicht richtig bemerken. Erst, wenn man etwas Schlimmes hinter sich hat, wird einem so richtig klar, wie schön die kleinen Dinge sein können.” Daniela schaut zu Nicholas. “Nick, du fotografierst doch: Was braucht ein Bild, damit man das Sonnenlicht darauf sehen kann?”
Nicholas hebt die Augenbrauen. “Man braucht Kontraste”, erklärt er. Sein amerikanischer Akzent ist nicht zu überhören, für einen Moment sucht er nach Worten: “Licht sieht man nur durch … Schatten. Ohne Schatten ist das ganze Bild grau.”
“Siehst du.” Daniela zeigt mit dem Finger auf ihn. “Und genau so ist es beim Schreiben. Ohne Leid kein Glück. Und je größer das Leid”, sie lächelt triumphierend, “desto schöner das Glück.”
Jetzt müssen alle ein bisschen grinsen. Vielleicht hat sich das Leid ja doch gelohnt – wenn man mit Glück dafür entschädigt wird.
“Auf das Glück!” Ink Rebellin Franzi, die bis jetzt noch gar nichts gesagt hat, hebt ihre Tasse, und die anderen fallen in den Toast ein.
Mit einem Mal ist das Eis gebrochen. Alle lachen, trinken und fangen an, durcheinander zu reden. Aus der ruhigen Gesprächsrunde wird eine Party.
Bis das Schrillen der Türklingel den munteren Lärm durchschneidet.
Alle verstummen, Blicke huschen hin und her. Wer fehlt denn jetzt noch? Sind nicht schon längst alle hier?
“Oh nein.” Daniela wird blass. Plötzlich drückt sie sich so eng an die Wand, als wolle sie damit verschmelzen. “Wenn sie jetzt doch noch kommen. Dann nur, um mich zu verfluchen, um den Fluch zu verstärken. Damit ich das Buch nicht veröffentliche.”

(Und so geht es weiter.)

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