How to dream

(Was bisher geschah)

“Oh nein.” Daniela wird blass. Plötzlich drückt sie sich so eng an die Wand, als wolle sie damit verschmelzen. “Wenn sie jetzt doch noch kommen. Dann nur, um mich zu verfluchen, um den Fluch zu verstärken. Damit ich das Buch nicht veröffentliche.”
Jenny runzelt die Stirn. Gleich darauf lächelt sie ihr süßes Lächeln. “So einen Unsinn redet Daniela die ganze Zeit. Aber das werden wir gleich erfahren.” Vollkommen ungerührt geht sie in den Flur und öffnet die Tür.
Draußen steht ein Junge mit schwarzen Locken und ein Mädchen mit dunkelroten Haaren, die in Wellen über ihre Schultern fallen. Beide sind nicht älter als Lizzy, Katinka oder Nicholas. Dennoch ist etwas an ihnen, das Jenny einen Schauer über den Rücken jagt. Sie erkennt die beiden sofort. Immerhin ist sie die Lektorin der Geschichte. “Daniela hat euch eingeladen. Richtig?”
Der Junge nickt.
“Dann kommt rein.” Damit weicht sie zur Seite und lässt die beiden in den Flur.
Der Junge geht nur langsam durch die Tür, so zögernd wie ein Tier, das ein fremdes Revier betritt. Auch das Mädchen sieht sich wachsam um. Sie überholt den Jungen, bleibt vor ihm stehen und schaut prüfend auf Shirvan und Loris.
An ihren Augen ist etwas, das Shirvan zurückweichen lässt.
Auch Loris räuspert sich unbehaglich. “Oh ha”, murmelt er. “Hast du einen Waffenschein für deine Blicke?”
Der rechte Mundwinkel des Mädchens verzieht sich zu einem Lächeln. Oder zu einem Grinsen. Vielleicht ist es auch eine Grimasse.
“Puh!” Loris stößt die Luft aus. “Harte Nuss.” Damit weicht auch er vor dem Mädchen zurück und lässt sie zu den anderen in den Partyraum. Der Junge folgt ihr mit einigem Abstand.
Sämtliche Gespräche verstummen, als die beiden eintreten. Alle Blicke fangen sich an ihren Gesichtern. In den Augen des Jungen sammelt sich eine Traurigkeit, als laste die ganze Welt auf seinen Schultern, als trüge er die Schuld an allem, was jemals aus den Fugen geraten ist.
“Darf ich vorstellen? …” Jenny schiebt sich hinter ihnen durch die Tür. “Das sind Nico und Leany, unsere beiden … ach na ja. Was sie sind, erklären sie euch besser selbst.”
Was sie sind? Die anderen schauen ihnen gespannt entgegen. Doch Nico und Leany erklären rein gar nichts. Nur ihre Präsenz sickert wie Stickstoff durch den Raum und verklumpt sich mit der Luft, bis sie zu schwer wird, um sie einzuatmen. Nico wirft nur einen einzigen Blick in die Runde, und dennoch ist es, als würde er direkt in ihre Seelen schauen. Als er Juli ansieht, spiegelt sich die Einsamkeit in seinen Augen, alle Worte, die gesagt werden wollen und die trotzdem keinen Weg nach draußen finden. Zusammen mit Lizzy geht er auf die Suche nach ihrer Vergangenheit, betritt an ihrer Seite den Friedhof, nur um dann zu Loris weiter zu wandern und die Verletzlichkeit hinter seiner Maske zu enttarnen.
Bei Shirvan verharrt er länger. Das Braun seiner Augen scheint noch dunkler zu werden, und plötzlich ist der Krieg so nah, als wäre er draußen vor der Tür. Eine Bombe detoniert, Menschen schreien und der Gestank von Benzin und Rauch verpestet die Luft. “Es tut mir leid”, flüstert Nico. Es ist das erste Mal, dass er spricht, doch seine Worte richten sich nur an Shirvan. “Wenn ich einen Weg gewusst hätte, um es zu verhindern … Aber manche Dinge sind zu groß für einen einzelnen.”
Shirvan nickt. Er öffnet den Mund, und obwohl er kein einziges Wort herausbringt, hören alle, was er sagen will: “Ich weiß. Es ist nicht deine Schuld. Du bist auch nur ein Mensch. Oder nicht?”
“Das ist kein Mensch!” Loris ist der erste, der seine Sprache wiederfindet: “Das ist echt gruselig, wisst ihr das? Wollt ihr nicht vielleicht mal verraten, wer oder was ihr seid?”
Nico antwortet nicht. Nur Leany schleudert einen Blick in Loris Richtung, der ihn zurücktaumeln lässt. Kurz darauf setzt sie sich in Bewegung. Wie eine Katze schleicht sie durch den Raum, schlängelt sich zwischen den Menschen hindurch und schaut in die Runde, als wolle sie sich jedes Detail einprägen. “Keine Bilder an den Wänden. Aber ein Raum voller Schriftsteller und leibhaftig gewordener Geschichten.” Direkt vor Daniela bleibt sie stehen. “Danke für die Einladung. Ich hab immer geahnt, dass es dich irgendwo geben muss.”
Daniela schluckt. Sie ist sich nicht mehr ganz sicher, ob das mit der Einladung eine gute Idee war.
Auf Leanys Gesicht erscheint ein Lächeln, nicht mehr als dieser eine Mundwinkel, der sich anhebt, als wollte sie über alles und jeden spotten. “Du glaubst immer noch, dass du uns erfunden hast, oder?”
Daniela räuspert sich. “Nein. Ja. Ich weiß nicht. Ich war mir nie ganz sicher.”
Leanys halbes Lächeln vervollständigt sich, doch der Spott in ihren Augen bleibt. “Du hast uns ge-funden. Nicht er-funden. Eigentlich müsstest du das wissen. So hast du es selbst in deine Geschichte geschrieben.”
Daniela versucht, vor Leany zurückzuweichen. Doch sie schafft es nicht. Direkt hinter ihr ist bereits die Wand. “Seid ihr deshalb gekommen?” Ihre Stimme zittert. “Um mir zu sagen, dass das Buch verflucht ist? Dass ich es nicht veröffentlichen darf? Oder dass ich sterben werde, wenn ich es versuche? Genauso wie schon andere dafür gestorben sind?” Daniela zeigt in die Runde, dieses Mal nicht auf die Romanfiguren, sondern auf die anderen Ink Rebellinnen, die ihnen sprachlos zusehen. “Und was ist mit ihnen? Mit Jenny, wenn sie das Buch lektoriert? Mit Franzi, Kira und Julia …? Müssen sie alle dafür büßen, wenn wir versuchen, eure Geschichte öffentlich zu machen?”
Leanys Augen glühen in einem dunklen Gold, das aussieht wie Feuer. “Du meinst das Gesetz der Geheimhaltung … Was glaubst du? Haben die Mächte des Schicksals dich nicht oft genug gewarnt? Und dir gesagt, dass diese Geschichte nicht zwischen zwei Buchdeckel gehört? Aber versucht es! Probiert es aus!” Leany breitet die Arme aus und läuft so beschwingt rückwärts, als würde sie tanzen.
Kira gibt einen unkontrollierten Laut von sich: “Daniela!” Sie klingt panisch. “Ist das dieser Fluch? Das, wovon du gesprochen hast? Ich … ich hab echt Angst. Ich bin echt zu abergläubisch für so was. Ich will nicht sterben für … für ein Buch.”
Daniela antwortet nicht. Nur Leany bricht in schallendes Gelächter aus, ganz kurz, ehe sie ernst wird und sich in Danielas Richtung beugt: “Du kennst die Geschichte der Leanan Sidhe. Das Leben des Künstlers im Austausch für den Erfolg. Noch kannst du die Entscheidung rückgängig machen.” Damit wirbelt Leany herum, schlängelt sich wieder zwischen den anderen hindurch und kehrt zu Nico zurück. Sie fasst ihn am Arm, und für einen Moment sieht es so aus, als wollten die beiden gehen.
“Halt!” Daniela löst sich von der Wand, tritt in die Mitte des Raumes und schafft es endlich, ihre Stimme zu kontrollieren: “Sag mir nur noch eins.” Sie wartet, bis Leany sich wieder zu ihr umgedreht hat. “An welcher Stelle der Geschichte seid ihr? Ihr seht so aus, als … als wüsstet ihr schon alles.”
Leany neigt den Kopf zur Seite. “Wir sind zeitlos”, erklärt sie, und ihre Stimme klingt als wäre es das selbstverständlichste der Welt. “Visionen sind immer zeitlos, bis sie sich an einem bestimmten Punkt in einem bestimmten Leben manifestieren.”
Daniela blinzelt. Visionen sind zeitlos. Natürlich. Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft. In einer Vision fließt alles zusammen.

Mitten in dem Gedanken schaut sie zur Tür. Dorthin, wo die beiden eben noch gestanden haben.
Doch ihre Romanfiguren sind nicht mehr da. Nur die Figuren der anderen sitzen auf ihren Plätzen und plaudern so munter durcheinander, als wäre die Party nie unterbrochen worden.
Daniela blinzelt noch einmal. Aber Nico und Leany bleiben verschwunden.
“Sie waren gar nicht hier.” Daniela flüstert, um sich selbst zu beruhigen. “Ich habe mir das nur eingebildet.”
Plötzlich klingelt es an der Tür. Hart und schroff schrillt der Laut durch den Raum.
Nicholas springt auf, stößt gegen den Couchtisch und bringt die Gläser zum Scheppern. “Oh fuck!” Er sieht sich panisch um. “Ich dachte, ich hätte sie abgeschüttelt. Where is the back door?”

(Und so geht es weiter.)

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