Abendliche Dunkelheit rückt näher, während wir noch immer im Büro sitzen und still vor uns hin grübeln. Die zweite Flasche Wein neigt sich bereits ihrem Ende entgegen, auf dem Konferenztisch verteilt liegen jede Menge Zettel mit Brainstorming-Wolken und Listen, über den Bildschirm flackern Fotos.
“Ich mag einfach keine englischen Titel”, murrt Julia.
“Das wäre aber viel besser, damit man weiß, dass das Buch ein Folgeband von KEEP ON DREAMING ist”, erklärt Jenny zum wiederholten Mal. “Irgendwas mit Stille wäre gut.”
Kira betrachtet eine Liste mit Songtiteln, die sich alle auf Ruhe und Schweigen beziehen, aber keiner passt wirklich. “Was haltet ihr von diesem Foto als Cover?” Auf einmal ist da etwas in Julias Stimme, eine Aufregung, die sich immer ihrer bemächtigt, wenn sie etwas Besonderem auf der Spur ist.
“JAAA!” Vor Begeisterung pfeffert Franzi die Keksdose auf den Boden. “DAS ist es. Wenn du es nicht willst, nehme ich es, Kira. Ich schreib dann einfach ein Buch dafür.”
“Mh, ich weiss nicht ….” Noch scheint Kira nicht hundertprozentig überzeugt zu sein.
“Das ist toll!” Geduldig hebt Daniela die Keksdose auf. “Das sieht echt schön aus.”
“Na gut.” Kira betrachtet das Foto grübelnd. “Wie wäre es mit ME, WITHOUT WORDS?”
“Das ist … gut”, sagt Jenny. “Passt zum Buch.”
Wir nicken alle, und dann schweigen wir. Lediglich leises Keksknuspern und das Klackern der Maus und der Tastatur sind zu hören, während Julia an dem Foto herumbastelt und ab und zu verstohlen murmelt: “Aber muss es denn englisch sein?”
Und dann präsentiert sie es uns. In Groß, mit dem neuen Titel, mit der hübschen Kreideschrift.
Wir sind alle verliebt.
Sofort.
Denn manchmal fließen Coverbild und Titel so perfekt ineinander, dass man das Ergebnis nur anzusehen braucht, um zu wissen, dass die abendliche Bürositzung beendet ist. Wir gehen jetzt dazu über, Cocktails zu trinken, zur Feier das Tages. Irgendwo muss sogar noch was dafür sein … Franzi kramt im Küchenschrank und fördert eine Flasche Heißen Hirsch zutage.
“Auch wieder urban, oder?”, fragt Julia, während sie die wunderbar warme Tasse festhält.
“Irgendwie schon. Der Mensch, der neulich meinte, unsere Cover hätten alle was Eigenes, hatte schon recht.” Es klingt sehr befriedigt, wie Daniela das sagt.
Die Frage, auf die sie sich bezieht, war: “Urban, grau, dreckig – weniger fluffig als die Cover anderer Verlage. Ist das Absicht?” Spannende Frage. Wir sehen uns an. Wir denken nach.
“Hm. Meins ist nicht urban”, sagt Franzi. Jenny nickt. “Deins nicht, aber sonst ist da schon was dran. Liegt natürlich unter anderem daran, dass wir einfach nur jedes Buch für sich betrachten und versuchen, dazu ein möglichst genau passendes Cover zu finden – unabhängig davon, was sonst gerade in ist oder gut läuft. Wenn das zufällig ein gefälliges me-too-Cover ist, weil es zum Buch passt oder die Autorin sich das wünscht, dann machen wir auch das. Ist halt bisher nicht vorgekommen.”
“Würde ich mich auch schwer tun damit”, murmelt Julia, aber sie tut es so leise, dass es sonst niemand hört.
Jenny ist richtig in Fahrt gekommen. “Unter anderem liegt das natürlich daran”, doziert sie, “dass wir im Ink Rebels Büro anders arbeiten als in den großen Verlagen, wo die Designer in der Regel vom Buch nicht mehr kennen als das Exposé. Wir brainstormen über Titel und Cover, bis die Tastaturen rauchen, und am Ende hat die Autorin das letzte Wort.”
“Genau, und erst, wenn sie sagt “DAS hier, das trifft genau das, was in meinem Buch drin ist” – dann ist es das”, ruft Franzi und schaut verzückt auf ihr neues Cover. Franzis Buch durfte nämlich aus rechtlichen Gründen nicht Spurenwechsel heißen und hat jetzt – nach langer, intensiver, schmerzvoller Redaktionsrunde – einen neuen Titel, der noch viel, viel besser passt. Persönlicher ist. Griffiger ist. Die Stimmung des Buches besser einfängt: UND IRGENDWO ICH Wir sind alle sehr verliebt. Und nicht nur in Franzis neues Buch. Kira hat sich an der Diskussion über die Urbanität unserer Cover nicht beteiligen können, weil sie so abgelenkt ist von ihrem neuen Projekt.
“ME, WITHOUT WORDS”, sagt sie.