Was muss man tun, was darf man tun, und wo liegen die Grenzen, die man nicht A?berschreiten sollte?
Darf man Geschichten A?ber den Krieg schreiben – welchen auch immer – und dA?rfen diese Geschichten unterhaltsam sein? Darf man Geld verdienen mit dem Elend, das jemand anderes erlebt hat?
Der Kaffee im Ink Rebels BA?ro wird kalt, der Kuchen bleibt ungegessen, wAi??hrend wir diskutieren. Ausnahmsweise witzelt keiner herum, und niemand wirft mit Herzchen. Wir reden einfach.
Jenny geht es schlecht. ai???Ich kann mich doch nicht freuen und feiern, weil die Leser das Buch toll und spannend finden. Das ist nicht toll und spannend – das ist RealitAi??t. Und zwar beschissene. Das fA?hlt sich so falsch an.ai???
ai???Ach, Jenny.ai??? Kira nimmt Jenny in den Arm. ai???Sei nicht so hart zu dir. Mich haut das immer um, dass ausgerechnet Leute, die Zeit und Geld und Energie opfern, um MissstAi??nde anzuprangen und anderen zu helfen, so anfAi??llig fA?r Selbstkasteiungen sind.ai???
Julia versucht verzweifelt, das TelefongesprAi??ch kurz zu halten, das sie gerade fA?hrt, um Jenny ebenfalls zur Seite zu stehen.
ai???Ich komm mir gerade vor, als wA?rde ich meinen Shirvan stellvertretend bis auf die Unterhose ausgezogen zwischen die Leute schubsenai???, murmelt Jenny niedergeschlagen. ai???ai???Und hier meine Damen und Herren – ein Syrer. Schauen Sie, wie spannend! Ist es nicht ergreifend?ai??i?? So was macht man nicht, wenn man Anstand hat.ai???
Drei unserer BA?rohunde hAi??ren auf, mit dem Schwanz zu wedeln und plumpsen seufzend neben Jennys FA?AYen zu Boden.
ai???Aber was sollte man sonst tun?ai???, fragt Kira. ai???Die Dinge Ai??ndern sich nicht dadurch, indem NICHT darA?ber geredet oder geschrieben wird.ai???
ai???Ich weiAY das allesai???, sagt Jenny. ai???Mit dem Kopf jedenfalls.ai??? Dass ein Roman die Welt nicht Ai??ndert, weiAY sie leider auch. ai???Trotzdem. Ich habe aus schrecklicher RealitAi??t Unterhaltung gemacht!ai???
Endlich ist Julias Telefonat zu Ende. Sie setzt sich auf der anderen Seite neben Jenny aufs Sofa. ai???Du wolltest dieses Buch doch genau deswegen schreiben, damit die Leute hingucken und mitfA?hlen. Diese Geschichten mA?ssen geschrieben werden. Das ist wichtig. Und wenn es darum geht, dass du damit dein Geld verdienst – auch Journalisten leben davon, dass ihre Berichte A?ber Aleppo, A?ber Damaskus, A?ber das ganze Grauen gesehen werden. Aber ohne diese Berichte wA?ssten die meisten Leute hier nicht, was dort passiert.ai???
Jenny schA?ttelt stur den Kopf. ai???Dokumentation ist etwas anderes als ein Roman, der die Leser unterhAi??lt.ai???
ai???Leute lernen besser A?ber Geschichtenai???, beharrt Julia. ai???Das Herz lernt besser A?ber Geschichten.ai???
ai???Du nutzt eben das Medium, das du beherrschstai???, wirft Franzi ein, die nebenbei den Kuchen aufwAi??rmt, damit er vielleicht doch noch gegessen wird. ai???Wir sind KA?nstler, Schriftsteller. Wir erzAi??hlen die Dinge so, wie man sie miterleben und nachfA?hlen kann. Warum sollten wir dieses Talent nicht nutzen, wenn wir damit eine Botschaft A?bermitteln wollen?ai???
Jenny weiAY das alles. Sie hat vierzehn Monate an diesem Buch gearbeitet und jeden Tag A?ber das Problem gegrA?belt. Aber nun wird es ernst und die Zweifel geben noch einmal alles.
Daniela, die bis eben im Nachbarzimmer herumgeflucht hat, kommt mit genervtem Blick zur TA?r herein und greift nach der Wasserflasche. ai???Boahai???, stAi??hnt sie. ai???Jetzt hab ich zwei Stunden A?berarbeitet und dann ist mir das Word abgeai??i??ai??? Sie unterbricht sich, als ihr Blick auf Jenny fAi??llt. Sofort schlAi??gt ihr Tonfall um: ai???Was ist passiert?ai???
Die anderen fassen die Diskussion in Kurzform zusammen.
Daniela vergisst ihren klitzekleinen Datenverlust, zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich in die Runde. ai???Ich weiAY, was du meinst. Ich habe einen Roman geschrieben, der im 2. Weltkrieg spielt, ausgerechnet eine Liebesgeschichte. Das hat sich Ai??hnlich angefA?hlt und ich habe mir die gleichen Fragen gestellt.ai??? Einen Moment lang starrt sie grA?belnd auf das Teppichmuster. ai???Das, was mir am meisten Angst gemacht hat, war die Verantwortung. Wenn man sich an so ein Thema heranwagt, trAi??gt man eine hohe Verantwortung. Wir mA?ssen grA?ndlich recherchieren, authentische Figuren erschaffen, die Dinge realistisch darstellen und von allen Seiten beleuchten. Das sind sicherlich AnsprA?che, denen nicht jeder Autor gerecht werden kann. Auch mir hat das schlaflose NAi??chte und etliche graue Haare bereitet, ehe ich mir sicher war, dass meine Recherche und Darstellung wirklich gelungen ist.ai??? Sie hebt den Kopf und grinst Jenny an. ai???Aber du hast das drauf! Und die, die es kAi??nnen, mA?ssen es tun. So einfach ist das!ai???
Jennys Mundwinkel zuckt ein bisschen. Aber ihr ist immernoch nicht zum Lachen zumute.
KAi??nnte es tatsAi??chlich in Ordnung sein? Dass es BA?cher gibt, die sich trotz dramatischer, romantischer und frAi??hlicher Momente auch immer schlecht anfA?hlen werden?
Ja, vielleicht ist es in Ordnung ai??i?? vielleicht ist es sogar richtig so. Zumindest fA?r diesen Moment kommt es Jenny so vor. Aber sicher ist sie sich nicht.
Wie seht ihr das?
Es gibt sie, diese Bücher. Sie wühlen dich auf, sie schockieren und beuteln dich. Sicher ja, sie unterhalten dich auch ein Stück weit, aber du bist kein dummer Leser, du weißt dass das was sie beschreiben Realität ist. Und das hinterlässt etwas bei dir, es verändert dich.
Klar, ein Buch kann nicht die Welt verändern (obwohl es ganz eindeutig Bücher gibt, die dies getan haben!) aber sie sind der Tropfen, der den Stein höhlt…