How to rock

(Was bisher geschah.)

Ich krieg’s nicht hin. Ich krieg’ diese verflixte Passage nicht hin!
Ganz egal, wie oft ich diesen Absatz jetzt schon umgestellt habe, es klingt immer noch viel zu verschachtelt, und verflucht nochmal, jetzt hör ich auf damit!
Oder … oder vielleicht so, ich könnte …
DRIIIING
… hm? Ich könnte es probieren, indem ich diesen Halbsatz einfach weglasse, obwohl die Formulierung großartig ist, aber egal, stattdessen ziehe ich das vor und dann …
DRIIIING
Was denn? Verdammt!
Ich bin nicht zu Hause. Bekommt man doch wohl mit, oder? Wenn keiner die Tür aufmacht, ist keiner da! Also … okay. Wo war ich jetzt? Genau, ich zieh das vor, dann kommt alles gleich viel flüssiger rüber …
DRIIIIIIIIIIIIIING
Jetzt reicht’s aber! Wieso muss eigentlich jeder Paketzulieferer dieser Erde immer bei mir klingeln? Man könnte es ja wenigstens mal bei den Nachbarn versuchen, aber nein – die wohnen ja nicht im Erdgeschoss, und bevor man sich die Mühe macht und in den dritten Stock läuft, klingelt man eben einfach ganz unten, oder? Ich werde … oh.
»Hi.«
Ich … also … »Hallo.«
»Darf ich reinkommen?«
Ob du, ähm … »Ja. Ja, klar, komm rein.«
Oh, mein Gott. Oh, mein Gott, oh, mein Gott, das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr, das ist nicht …

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»Nette Wohnung.«
Hm? »Ja, schon, ganz nett, stimmt.«
»Ich mag Altbauwohnungen.«
»Ja?«
»Ja, find ich gut. Hab ich eigentlich auch eine?«
»Was?«
»Ob ich auch eine Altbauwohnung besitze? Kommt bisher noch nicht so raus.«
»Also, ähm … wenn du möchtest … also, wenn du möchtest, dann klar, warum nicht. Eine Altbauwohnung, kein Problem.«
»Obwohl die in Edinburgh verflucht teuer sind.«
»Sind sie, ja? Also, um ehrlich zu sein, ich weiß das gar nicht. Hab ich noch nicht recherchiert  …«
»Doch, ich denke schon. Aber egal, weshalb ich hier bin … wollen wir uns setzen?«
»Was?«
»Ob wir uns irgendwo hinsetzen wollen? Oder möchtest du weiter hier im Flur mit mir plaudern?«
»Nein. Also, nein, natürlich nicht, einfach geradeaus und … könntest du die Schuhe ausziehen?«
»Was?«
»Ob du die Schuhe … ich meine …«
»Ich soll meine Stiefel ausziehen? Dein Ernst?
»Nein, egal. Egal, lass sie ruhig an. Ähm. Einfach geradeaus und dann entweder ins Esszimmer oder gleich rechts ist das Wohnzimmer. Möchtest du etwas trinken?«
»Klar, warum nicht.«
»Ich hätte Wasser da und Orangensaft und … und Milch …«
»Milch?«
Ja, Kira, biete ihm doch gleich noch einen Fruchtzwerg an, du Idiotin, und Hausschuhe! Im Esszimmer sieht gerade ein langhaariger Typ aus dem Fenster, er sieht aus meinem Fenster in meinen Garten, und er sieht verflucht nochmal aus … er sieht aus … aber das kann doch gar nicht sein …
»Whisky hast du nicht da, oder?«
»Doch. Doch, hätte ich auch da.«
»Dann nehm ich einen davon. Ohne Eis.«
Er nimmt einen Whisky ohne Eis, natürlich tut er das, warum biete ich ihm Milch an, ich weiß doch ganz genau, was er trinken will. Obwohl das lächerlich ist, wirklich, das ist lächerlich – Moment! Hab ich vielleicht heute etwas getrunken? Ich meine, ich kann mich nicht daran erinnern, aber vielleicht … oder hatte ich einen Unfall? Liege ich im im Koma? Vielleicht bin ich tot und …
»Kira?«
»Ja?«
»Kommst du oder nicht?«
»Ich bin gleich da!«
Strathisla. Ich mach ihm einen Strathisla ohne Eis, weil ich nämlich weiß, dass er diese rauchigen Whiskys nicht mag, und warum weiß ich das? Weil ich …
»Kira?«
»Ja! Ich komm gleich!«
Er sieht genauso aus, wie ich mir ihn vorgestellt habe. Ganz genau so. Groß. Haare ’n bisschen wild. Dunkelblond. Und er grinst genau dieses Grinsen, das ich immer vor mir sehe, wenn ich ihn mit Davie diskutieren lasse, und … oh, mein Gott! Was, wenn Davie jetzt auch noch kommt? Oder Gavin? Oder einer der anderen? Ich … ich glaub, ich muss mich setzen.
»Darf ich?«
»Bedien dich.“
Genau. Nimm mir doch einfach die Flasche aus der Hand. Vielleicht möchtest du dich ja auch gleich an den Rechner setzen, und dir eine Fortsetzung schreiben? Tu’s einfach, kein Problem. Ich bin gar nicht da.
»Weshalb ich hier bin …«
Ja? Ja? Bitte, sag’s mir. Weshalb bist du hier? Und wie zur Hölle hast du das hingekriegt?
»… mir taugt der Anfang nicht.«
»Was!?«
»Der Anfang der Story. Du lässt mich wie einen Idioten aussehen.«
»Ich lass dich … ich lass … was?«
»Wohnzimmer oder Esszimmer?«
»Ähm … ich … Wohnzimmer. Nein, Esszimmer. Moment, ich bin gleich wieder da, ich muss nur mal eben … in die Küche, in die Küche, genau.«
Okay, jetzt mal ganz ruhig. Irgendetwas stimmt nicht. Mit meinem Kopf. Oder mit dem Universum. Vermutlich eher mit meinem Kopf. Ich werde jetzt raus aus dieser Küche gehen, in das Esszimmer, und ich werde ganz alleine in meiner Wohnung sein. Alles wie immer. Ich werde mich an den Rechner setzen, und ich werde mich bescheuert fühlen, und vielleicht vereinbare ich besser einen Termin bei meinem Hausarzt …
»Kira!«
»Ja! Moment!«
Nochmal. Ganz ruhig. Atmen. Einatmen … ausatmen … einatmen … ausatmen … im Esszimmer sitzt nicht James McMillan … einatmen … in einem grauen T-Shirt – ausatmen … und Bikerstiefeln … einatmen …
»Brauchst du noch lang?«
Verdammt.
»Nein, ich komme. Also. Nochmal. Du bist … wie hat du es formuliert? Unzufrieden.«
»Nicht wirklich unzufrieden, aber … trinkst du nichts?«
»Vielleicht später.«
»Du stellst mich in den ersten Kapiteln wie jemanden hin, der nichts auf dem Programm hat, außer seiner Musik und irgendwelchen Groupies.«
»Ja?«
»Ja! Okay, ich seh gut aus und hey, wer möchte nicht der Sänger der Band sein? Oh, nicht schlecht, der Whisky.«
»Danke.«
»Ich schätze mal, Davie wäre ganz froh gewesen, wenn er nicht ausgerechnet den Bass abbekommen hätte, aber was soll das mit dieser Jeanette?«
»Jeanette?«
»Jeanette. Und mit Heather. Und Mandy. Und dieser Kleinen in der Abstellkammer. Wie steh ich denn da, hör mal?«
»Ich …«
»In den ersten Kapiteln komm ich rüber wie ein hohlköpfiger, eingebildeter und schwanzgesteuerter Typ! Und zwar mindestens in den ersten sechs Kapiteln! Wenn nicht sogar in den ersten acht!«
»Ja, also, das liegt daran …«
»Ja?«
»Das liegt daran … dass … also, in den ersten Kapiteln denkst du ja …«
»Ja?«
»… auch noch nicht …«
»Was tu’ ich nicht?«
»… du denkst ja auch noch nicht wirklich über alles nach. Könntest du die Füße vom Tisch nehmen?«
»Was?«
»Deine Füße. Vom Tisch. Bitte. Danke. In den ersten Kapiteln geht’s dir nun einmal in erster Linie um eure Tour, um die Konzerte, um eure Auftritte, und um … um …«
»Frauen.«
»Genau.«
»Aber so bin ich nicht!«
»Ja. Ich weiß. Ich weiß das doch, aber zunächst … eben schon.«
»Du kannst mich doch nicht einfach so schreiben, wie es dir in den Kram passt!«
»Nein? Also, bisher dachte ich … aber das war natürlich, bevor du hier einfach so geklingelt hast und … wie hast du das gemacht?«
»Was?«
»Wie hast du es geschafft, hier einfach zu klingeln?«
»Du hast es geschrieben.«
»Wie bitte?«
»Du hast es geschrieben. Nicht meine Schuld. Du schreibst ja immer noch.«
»Ich? Ich schreibe das?«
»Ja, klar. Jetzt immer noch.«
»Immer noch?«
»Immer noch.«
»Und wenn ich aufhöre?«
»Beendest du dieses Gespräch.«
»Einfach so?«
»Nehm ich mal an. Was fragst du mich das? Ich bin hier nur der Sänger der Band. Sehe gut aus. Bin triebgesteuert …«
»Ja, ja, ich hab’s verstanden! Hör auf so zu grinsen. Ich werde … ich werde dir ein bisschen mehr Tiefgang verpassen, auch schon in den ersten Kapiteln, okay?«
»Okay. Und du könntest Davie noch zehn Zentimeter kleiner machen.«
»Was? Wieso?«
»Nur so. Würde ihm bestimmt gefallen.«
»Witzig. Füße vom Tisch.«
»Wie denn?«
»Schreib einfach: Sekunden später waren sie in London.«
»Aber das geht doch nicht.«
»Warum?«
»Weil mir das keiner abnimmt! Ihr könnt nicht eben noch in Spanien und in der nächsten Sekunde in London sein.«
»Wieso nicht? Dein Text, dein Zeitgefüge.«
»Ja, aber ich schreib hier nicht irgendeine ‚Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt’-Story!«
»Nein?«
»Nein!«
»Fühlt sich für mich aber ganz schön so an.«
»Okay. Okay, also ich lass euch die Fahrerei im Bus vielleicht ein bisschen schneller durchstehen.«
»Und besseres Essen.«
»Was?«
»Besseres Essen. Krieg ich eigentlich auch mal etwas anderes als irgendeinen Fastfood-Dreck und in Plastik eingewickelte Sandwiches?«
»Ganz am Anfang hast du Pommes … ja, gut, du kannst die Augenbrauen wieder runternehmen. Also, weniger Fastfood. Noch etwas?«
»Ich glaube, fürs Erste reicht das.«
»Darf ich mal …«
»Hm?«
»Darf ich mal etwas näher … du hast tatsächlich graugrüne Augen.«
»Und ich bin ziemlich gut im Bett.«
»Was?«
»Ist doch so, oder? Wer wüsste das besser als du?«
»Ich … also, ich … «
»James McMillan, Leadsänger, attraktiv, Frauenschwarm – und gut im Bett. Hey, gib mir nicht die Schuld. Du hast mich so geschrieben.«
»Ja, aber nicht oft. Also … also, das hab’ ich ja wohl nicht dauernd betont.«
»Nicht dauernd, nein.«
»Eben.«
»Aber in den ersten Kapiteln …«
»Okay! Okay, ist gut! Ich werde dich etwas weniger … egozentrisch schreiben.«
»Okay.«
»Du musst mich auch verstehen – das ist kein angenehmes Gefühl, so fremdgesteuert rumzulaufen.«
»Nein.«
»Nein. Manche Dinge hätte ich zum Beispiel ganz anders gemacht, wenn du mir nicht immer dazwischengrätschen würdest.«
»Zum Beispiel?«
»Das mit Mandy zum Beispiel.«
»Das war aber wichtig.«
»Für was?«
»Für die Geschichte.«
»Ach ja? Ach ja? Geht’s hier nur um deine Geschichte? Und dafür kann man mich dann über hundert Seiten leiden lassen?«
»…«
»Also.«
»Entschuldigung.«
»Schon okay. So langsam krieg’ ich ja mit, wo du uns alle hinführst.«
»Und das ist … okay für dich?«
»Ja … ja, doch, denke schon.«
»Danke.«
»Bitte. Versau das Ende nicht.«
»Nein. Bestimmt nicht.«
»Und jetzt …«
»Ja?«
»Hör auf zu schreiben.«
»Ich soll …«
»Genau. Hör jetzt auf hiermit. Schreib stattdessen mein Buch jetzt zu Ende.«
»Okay. Also … dann.«
»Schön, dich mal kennengelernt zu haben.«
»Danke. Denke ich. Auf … auf Wiedersehen.«
»Bestimmt.«
»Du siehst übrigens wirklich … ziemlich gut aus. Und … wenn du so lächelst, wie jetzt gerade, dann …«
»Ja?«
»Also, bis demnächst.«

… wenn ich diesen Absatz jetzt noch komplett rausnehme, dann … dann … was? Was war das denn eben?
Hallo?
Wieso hab’ ich denn … hab’ ich das getrunken? Kein Wunder, dass ich gerade das seltsame Gefühl habe, dass … hallo?

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