Ein … öh … klitzekleines, wirklich nur sehr kurzes Interview mit Daniela

Nieselregen tröpfelt gegen die großen Scheiben des Cafés, noch immer liegt Weihnachtsdeko auf den Tischen. Es riecht nach selbstgebackenem Apfelkuchen und Zimtschnecken. Jenny hat versehentlich beides bestellt und hofft darauf, dass das Interview mit Daniela eine Weile dauern wird, damit sie auch noch die Schokoladentorte probieren kann.
Leise Musik dudelt über die Lautsprecher in den Raum.
Gerade bringt der Kellner Jennys Kaffee, als Daniela zusammen mit einer Brise kalter Januarluft hereinweht. Immerhin, sie ist nur zehn Minuten zu spät, und da sie die Speisekarte auswendig kennt, braucht sie mit ihrer Bestellung (Quarkstrudel mit Vanilleeis) nur halb so lange wie Jenny. Diese klappt in der Zeit ihren Laptop auf, lehnt sich in dem gemütlichen Sofa zurück und liest die erste Frage vor, die sie heimlich schon einmal vorbereitet hat:

Aktuell stehst du mit VERLOREN auf der Longlist zum Seraph – dem wohl bekanntesten Literaturpreis in der Phantastik. Was, denkst du, hat die Phantastische Akademie dazu bewogen, dein Buch zu nominieren?

Daniela lacht vergnügt, während sie ihren Schal von ihrem Hals wickelt, der langsam zu warm wird.  Wenn ich das so genau wüsste, wäre ich Hellseherin. Ganz ehrlich: Auf diese Frage hätte ich auch gern eine Antwort. Also, falls jemand unser Interview liest, der die Antwort kennt – er darf sie mir gern flüstern. Mit einem Grinsen nimmt sie den Latte Macchiato entgegen, den der Kellner gerade bringt. Abgesehen davon hoffe ich natürlich, dass das Buch mit einem spannenden Inhalt und guter Textqualität überzeugen konnte.

Und was bedeutet dir persönlich der SERAPH?, liest Jenny die nächste Frage.

Auf den Nominiertenlisten steht regelmäßig die Crème de la Crème der deutschen Phantastik – und dazwischen der eine oder andere Newcomer. Ein paar meiner Kollegen kenne ich inzwischen persönlich und bin schon sehr gespannt. Ich finde das sehr nett, so kann ich mich am Ende einfach für den Sieger mitfreuen, wer auch immer das sein wird.
Alles in allem bin ich jedenfalls sehr stolz darauf, meinen Namen nun schon zum zweiten Mal in so guter Gesellschaft zu finden.

Der Kellner muss sich ungefähr fünfmal räuspern, ehe Daniela und Jenny merken, dass er mit einem Kuchentablett neben ihnen steht. Dafür rückt Jenny ihren Laptop um so bereitwilliger zur Seite, um den Kuchen zu platzieren, und Daniela muss sie fünfmal anstoßen, damit sie erst ihre nächste Frage vorliest, bevor sie sich auf den Kuchen stürzt.

Die Leserinnen und Leser sind sich einig: VERLOREN ist ein ungewöhnliches Buch – und das trotz vieler bekannter Elemente wie Hexen, Feen und natürlich einer emotionalen Liebesgeschichte. Trotzdem behaupten viele Leser, es sei etwas vollkommen Neues. Wie kommt das?

Ich denke, das liegt daran, dass ich für VERLOREN einen Ansatz gewählt habe, der sich in der gängigen Urban Fantasy bis jetzt kaum findet. Die Figuren in meiner Geschichte gehen von einer vollkommen realistischen Welt aus, in der phantastische Dinge schlicht nicht vorkommen. Ich verfolge also den Gedankenansatz: Was wäre eigentlich, wenn in unserer Welt jemand übersinnliche Fähigkeiten besäße? Was würde diese Person über sich selbst denken? Was würden andere über sie denken? Welche Rolle würde sie in ihrem Umfeld einnehmen? Würde nicht jeder davon ausgehen, dass so jemand psychisch krank ist?
Wenn man in dieser Richtung recherchiert, finden sich viele Motive magischer Geschichten in den Symptomkatalogen psychischer Krankheiten. Von dieser These bin ich übrigens wirklich sehr überzeugt: Wenn es Magie in unserer Welt gäbe, würde sie (zumindest in unserer westlichen Zivilisation) mit großer Wahrscheinlichkeit als psychische Krankheit abgetan werden.

Daniela redet sich in Begeisterung und Jenny nickt eifrig und stopft nebenbei einen Kuchenhappen nach dem anderen in ihren Mund. Leider hat sie vergessen, Danielas Antwort mitzutippen. Daniela kann das verstehen. Also zieht sie kurzerhand den Laptop zu sich und tippt die Antwort einfach selbst. So kann sie wenigstens auch endlich ihren Strudel essen, bevor er kalt wird und das Vanilleeis schmilzt.

Ich werfe meine Figuren also in genau diese Situation. Da sie mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten geboren wurden, sind sie und ihre Familien von Anfang an mit den erschreckenden Auswirkungen konfrontiert worden. Allerdings gibt es für die Halluzinationen, Albträume und Verfolgungsangst meines Protagonisten Nico nur eine plausible Erklärung: Er muss schon als kleines Kind schwer traumatisiert worden sein. Das Symptombild für seine Krankheit ist nicht ganz eindeutig, schwankt aber zwischen einer Borderline-Störung und Schizophrenie. Da beides auch gerne zusammen vorkommt, zweifelt an dieser Stelle niemand mehr.
In den meisten Fantasybüchern taucht schon ziemlich zu Beginn eine Person auf, die das Anderssein der Hauptfiguren erklären kann – dann folgt meist eine recht kurze Phase, in der der Protagonist die Erklärung annimmt – und schon kann das phantastische Abenteuer beginnen.
Aber ich habe mich anders entschieden: Im ersten Teil der Trilogie zeichne ich gnadenlos den verzweifelten Weg meiner Figuren nach, auf dem erst sehr viel passieren muss, bevor sie auch nur ahnen, dass ihre Fähigkeiten real sein könnten. Aber da bleibt immer dieser Zweifel. Wahn oder Wirklichkeit? Eine handfeste Erklärung bekommen meine Protagonisten erst im zweiten Teil. Aber leider wurde bis dahin schon sehr viel kaputt gemacht.

“Willst du die nächste Frage wieder selbst vorlesen?”, fragt Daniela und deutet auf den Laptop.
Jenny sammelt inzwischen mit der Gabel die letzten Krümel von ihrem Teller. “Ja, klar. Warum nicht. Was tippst du da überhaupt so lange? Du weißt schon, dass das keine Doktorarbeit werden muss, oder?”
“Och”, murmelt Daniela. “Du kennst mich doch.”

Die Naturszenen in VERLOREN sind so plastisch, dass man meinen könnte, sie seien in den Wäldern geschrieben. Man liest die Liebe zur Natur in jeder Zeile. Du wohnst aber in der Großstadt. Wie passt das denn zusammen?

Daniela schaut verträumt aus dem Fenster, vor dem gerade ein paar Kreuzberg-Touristen über den Bürgersteig flanieren und so aussehen, als wollten sie ein Foto von dem hübschen Café machen.
Ich bin auf dem Land aufgewachsen, genauer gesagt auf einem Bauernhof. Tatsächlich liebe ich die Natur sehr und hätte mir in meiner Jugend auch nie träumen lassen, dass ich mal in der Stadt landen würde. Aber wie das so ist, hat mich die Liebe nach Berlin verschlagen und hier behalten. Großstadt hat gegenüber dem Land auch durchaus andere Pluspunkte. Letztendlich mag ich beides. Die Natur vermisse ich allerdings immer noch – weshalb ich mich umso lieber in die Natur hineinschreibe.

Jenny nickt und tippt und stellt schließlich die nächste Frage:

Neben der Fantasy schreibst du erfolgreiche historische Romane über Kriegs- und Nachkriegszeiten. Erzähl doch mal, in welchem Punkt sich deine Genres am meisten unterscheiden und wo sie sich am ähnlichsten sind.

Daniela überlegt kurz und zieht dann den Laptop wieder an sich. So komplizierte Fragen kann sie besser schriftlich beantworten.

Am meisten unterscheiden sie sich in der Recherche. Bei historischen Romanen muss ich natürlich jeden Punkt sehr akribisch recherchieren, damit ich Fakten korrekt darstelle, historischen Persönlichkeiten und ihrem Charakter gerecht werde und eine authentische Erzählung abliefere. Ich habe dabei den Anspruch, dass ich auch die letzten noch lebenden Zeitzeugen mit der Authentizität überzeugen kann – und gleichzeitig der historischen Überprüfung standhalten würde. Das ist also sehr, sehr viel Arbeit, die ich hier in die Recherche stecke.
Bei der Fantasy hab ich es da vergleichsweise einfach. Da kann ich mir im Grunde alles ausdenken, ich muss es nur plausibel miteinander verstricken. Tatsächlich wende ich in der Planung einer Fantasytrilogie genauso viel Zeit für ein sorgfältiges Worldbuilding auf. Immerhin soll meine selbst erfundene Welt ebenfalls überzeugen. Jeder, der das liest, soll den Eindruck haben, sich in einer echten Welt zu befinden – oder aber, im Fall von VERLOREN, war es mir wichtig, unserer echten Welt einen plausiblen Dreh zu geben, der Magie in sich verbirgt, an den Eckpunkten aber so in der Realität wurzelt, dass man sich beim Lesen denkt: Scheiße, so könnte es wirklich sein. Was, wenn es WIRKLICH so ist?

Die größten Gemeinsamkeiten liegen allerdings in meinem persönlichen Lieblingsfeld: Figurenpsychologie. In beiden Genres werfe ich grundsätzliche Fragen der Menschlichkeit auf. Immer wieder geraten meine Figuren in Extremsituationen: Krieg, Tod und Gewalterfahrung sind häufige Motive. Aber was macht das eigentlich mit einem Menschen? Wie verhält sich eine Person, wenn sie alles verloren hat? Wenn sie getötet hat oder gegen ihren Willen töten muss? Wenn sie ihr Leben riskieren muss, um jemanden zu retten, der ihr viel bedeutet? Wenn sie traumatisiert wurde und anschließend damit klarkommen soll? Derlei Fragestellungen könnte ich jetzt noch eine ganze Weile fortsetzen.
Letztendlich möchte ich die Menschen bis in all ihre Ecken und Kanten und Abgründe durchleuchten.
Außerdem wäre da noch die Liebe. Sie ist ein sehr schöner Gegenpol zu all dem Düsteren, das ich so gerne schreibe. Deswegen wird man in jedem meiner Bücher auch eine große Portion Liebe finden.

Weil Daniela gerade so schön im Fluss ist und Jenny inzwischen ihren frisch bestellten Schokokuchen verzehrt, beantwortet Daniela einfach auch gleich die nächste Frage schriftlich:

Im Juli dieses Jahres erscheint bei Lübbe High Fantasy von dir: Die Quellen von Malun – BLUTGÖTTIN. Was kannst du uns über diese neue Trilogie erzählen?

„Die Quellen von Malun“ spielt in einer High-Fantasy-Welt, in der es zwei Sonnen gibt, und die unter einer sehr schlimmen Dürre leidet. Es herrscht großer Wasser- und Nahrungsmangel, was schon vor vielen Jahren zu einem verheerenden Ressourcenkrieg geführt hat, der immer noch andauert. Das Volk der Sapioner konnte die anderen weitgehendst besiegen und herrscht nun mit dem Großreich Sapion über die Welt. Alle anderen Völker, insbesondere die Faruaner, wurden versklavt. Allerdings gibt es noch eine letzte Front: Faruanische Rebellen haben sich mit dem nördlichen Volk der Katzenmenschen verbündet und können sich im Waldgürtel von Farua schon seit zehn Jahren gegen die Sapioner behaupten. Damit sind sie allerdings das letzte Aufgebot, das noch zwischen Sapion und Malun steht – Malun ist das Land der Götter. Das letzte Land, in dem es noch Quellen, Flüsse und Seen gibt. Falls es Sapion jemals gelingen sollte, in das göttliche Malun einzumarschieren, so erzählen die Legenden der Faruaner, wird das Ende der Welt unausweichlich sein.

In meiner Geschichte zeige ich diese Welt aus verschiedenen Perspektiven:

Alia ist eine faruanische Sklavin, die in einem unterirdischen Wasserbergwerk arbeitet und in den Tiefen des Stollens ihre kleine blonde Schwester vor den Sapionern versteckt. Blonde Mädchen gibt es nur noch sehr selten. Die meisten wurden längst der Göttin Sapia geopfert, die jeden Monat das Blut eines blonden Mädchens trinkt.
Alia träumt davon, ihre kleine Schwester nach Malun zu bringen, um sie zu retten. Dort sollen noch immer die Götter der Faruaner leben, die von den Sapionern verboten wurden. Doch Alias Traum ist unerreichbar: Ihr Barackendorf ist mit hohem Stacheldraht umzäunt, die Wachen töten jeden, der sich widersetzt, und selbst, wenn Alia entkommen könnte – sie könnte niemals genug Wasser mitnehmen, um außerhalb des Dorfes zu überleben.

Dorgen ist Krieger im Heer von Sapion, der dem Kriegsdienst allerdings den Rücken kehren darf, um eine sapionische Schwesternsippe zu heiraten. Überraschenderweise wird er trotz seiner einfachen Herkunft der Schwiegersohn eines mächtigen sapionischen Politikers. Alles könnte gut sein, wenn da nicht der Verdacht wäre, dass sein Schwiegervater ihn für verheerende Machtspiele missbrauchen will.

Feyla ist eine von Dorgens neuen Ehefrauen, die zusammen mit ihren Schwestern zwangsverheiratet wird. Sie ist die gebildete Rebellin der Familie, gleichzeitig aber eine Gefangene im Palast ihres Vaters. Dass sie sich trotz allem in ihren Ehemann Dorgen verliebt, überrascht sie selbst. Allerdings muss auch sie bald erkennen, dass sie zeitlebens nur ein Spielball ihres Vaters war. Außerdem muss sie ihrem Ehemann bis zum Ende des Ehejahres ein Kind schenken. Wenn ihr das nicht gelingen sollte, ist Dorgen nach dem Gesetz der Sapioner gezwungen, sie in der Wüste auszusetzen, denn unfruchtbare Frauen sind ohne Wert für die sapionische Gesellschaft und verschwenden nur wertvolle Ressourcen.

Tailin ist ebenfalls sapionischer Krieger und war seit Kindertagen Dorgens bester Freund. Dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, ist sein gefährlichstes Geheimnis, da Homosexualität nach sapionischem Recht mit einem qualvollen Tod bestraft wird. Nach Dorgens Fortgang erfährt Tailin von einem Befehl, wonach der Heerführer den Waldgürtel von Farua in Brand setzen soll, um den Krieg zu gewinnen. Diese Vorgehensweise hätte fatale Folgen für die Welt, da sich die letzten Ressourcen im Waldgürtel verbergen. Um das Schlimmste zu verhindern, desertiert Tailin und will zu den gegnerischen Katzenmenschen überlaufen, um diesen von dem Vorhaben zu erzählen. Dabei wird er von dem Katzenmenschen Leymon gefangen genommen. Leymon ist einer der Pamuschkrieger, die auf riesenhaften Raubkatzen reiten und mit ihnen gemeinsam kämpfen. Zuerst hält er Tailin für einen Spion. Aber dann entdeckt er etwas an ihm: Könnte es sein, dass Tailin ein Gottgeborener ist? Einer von jenen Menschen, in denen göttliche Fähigkeiten wiedergeboren wurden? Und wenn es so ist – schlummert in Tailin womöglich eine von den Kräften, die dringend benötigt werden, um das Gleichgewicht der Welt wieder herzustellen?
Leymon nimmt Tailin mit auf eine Reise durch die schroffe Bergwelt von Pamal, um ihn zu einem Tempel zu bringen, in dem er geprüft wird. Dass die beiden sich auf der Reise näherkommen, ist etwas, das auf keinen Fall sein darf – denn die Raubkatzen der Pamuschkrieger töten jeden, in den sich ihr Reiter verliebt.

Daniela könnte noch ewig so weiter tippen. Da Jenny inzwischen das Tiramisu entdeckt hat, stört sie auch niemand dabei. Bis die Tür auffliegt und Franzi hereinkommt. “Was macht ihr da eigentlich? Wollte Jenny dich nicht interviewen?”
“Macht sie ja”, murmelt Daniela und denkt über ihren nächsten Satz nach.
“Daniela soll kurz den Inhalt ihres Buches erwähnen”, erklärt Jenny. “Aber ich glaube, sie schreibt grade heimlich ein Exposé.”
“Was? Exposé? Ich?” Daniela klappt hastig den Laptop zu. “Warum sollte ich denn jetzt ein Exposé schreiben?”
Jenny und Franzi grinsen sich vielsagend an. Sie kennen Daniela.
“Och”, sagt Jenny. “Ich dachte nur wegen dem Umfang. Du tippst jetzt schon … eine halbe Stunde an deiner letzten Antwort.”
“Echt?” Daniela kratzt mit der Kuchengabel geschmolzenes Eis von ihrem Teller. “Hab ich gar nicht gemerkt. Meint ihr, ich muss das noch kürzen?”
“Nein, nein. Bestimmt nicht.” Franzi winkt dem Kellner, um sich auch ein Tiramisu zu bestellen. “Unsere Leser sind doch Leser. Die lesen gerne.”
“Wo sind eigentlich Julia und Kira?”, lenkt Jenny geschickt auf das nächste Thema.
“Kira muss unbedingt noch an ihrem Lektorat arbeiten – und Julia kann das Telefon nicht verlassen. Möglicherweise ruft ihre Agentin heute noch an.”
Daniela, Jenny und Franzi grinsen sich an. Julia hat gerade ein neues Exposé an ihre Agentin geschickt. Da ist das natürlich verständlich.
Leise meldet sich Danielas schlechtes Gewissen. EIGENTLICH hätte sie heute auch noch so einiges an dem zweiten Malun-Teil schreiben müssen.
Naja. Kann sie ja heute Nacht machen. Schlaf wird bekanntlich überbewertet.

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