Über das Verliebtsein

Vielleicht ahnt ihr das schon, aber Geschichten zu schreiben ist ein bisschen so, wie sich zu verlieben.

Am Anfang ist da dieser Funke. Bei manchen ist es eine Figur, bei anderen eine Szene oder eine Plotidee, und auch wenn wir eigentlich etwas anderes erledigen sollten – einen Roman zu Ende schreiben, in den wir auch mal schwer verliebt waren, die Wäsche aufhängen, die Kinder zum Yogaseminar fahren – entzündet dieser Funke etwas in uns. Es glüht und kribbelt im Bauch, wir denken immerzu an das, was sich da gerade entwickelt, und immer mehr kommt hinzu. Der Anfang ist sehr klar und detailreich, er leuchtet, wir möchten sofort die ersten Szenen schreiben, wir möchten jede freie Minute mit diesen Figuren verbringen und mit niemandem reden oder wenn, dann nur über dieses Thema, das inzwischen übrigens ein loderndes Feuer geworden ist. Diese Aufregung! Dieses Gefühl, dass alles vollkommen ist! Ja, klar, erst mal haben wir nur den Anfang, was später geschehen wird, bleibt etwas gröber, alles Mögliche kann da geschehen, aber es ist noch weiter weg, und wenn es kommt, werden wir es genauso lieben, es wird großartig werden! Noch nie war etwas so großartig, da sind wir uns sicher. Hauptsache, wir können uns mit der Geschichte, den Figuren, den wundervollen Szenen einigeln, wir können planen und endlich schreiben, und all das sind die besten ersten Dates, die wir je erlebt haben. Ehrlich jetzt! Volle Kanne Kerzenscheinromantik und Kuscheln auf dem Sofa und orgiastische Begegnungen.

Natürlich flaut die Aufregung ein bisschen ab, je weiter wir planen und schreiben. Das ist okay, hin und wieder ist mal ein Satz nicht ganz so genial, eine Szene nicht ganz so gelungen, das macht alles nichts, das sind nur Kleinigkeiten, die wir später reparieren können. An denen müssen wir eben noch arbeiten, wir verstehen sie einfach noch nicht so ganz. Der Anfang schrieb sich quasi von selbst, es war klar, dass das nicht für das ganze Buch funktioniert. Immerhin denken wir immer noch sehr viel daran, ab und zu kommen weitere zündende Ideen und Kuschel- und Nähephasen, sie geben Energie und treiben uns voran, und der Sex ist immer noch ganz gut.

Bis die ersten hundert Seiten stehen. Irgendwie sind sie doch nicht so toll, wie wir sie während des Schreibens fanden. Ein bisschen langweilig, oder? Ein bisschen zäh. Sie diskutieren zu viel. Sie schmatzen beim Essen. Sie räumen das Geschirr falsch in den Geschirrspüler und lassen ihre Socken überall liegen. Die Sätze fließen nicht mehr von selbst, wir müssen sie überreden, viel zu viel nachdenken. Passt die Geschichte überhaupt zu uns? Wollen wir sie schreiben? Sind die Figuren nicht irgendwie platt oder dumm oder uninspirierend? Gibt es nicht andere Geschichten, die tausendmal besser sind als diese? Schöner? Geschichten, die nicht den Klodeckel offen lassen oder jedes Mal vergessen, das Küchenlicht auszuschalten? Geschichten, die weniger von uns fordern?

Außerdem verbringen wir inzwischen jeden Tag mit diesem Roman. Wir stehen mit ihm auf, sein Wecker ist viel zu laut. Er ist es, der mit uns am Frühstückstisch sitzt, der uns anspringt, wenn wir den Computer einschalten. Wir kennen ihn jetzt schon recht gut, immerhin haben wir schon zwei, drei Monate (Jahre, Jahrzehnte) miteinander verbracht, selbst im Urlaub waren wir schon miteinander. An manchen Tagen haben wir gar keine Lust mehr, ihm zuzuhören. Das ist alles so vorhersehbar, was noch kommen wird, und manchmal schreien wir ihn an, einfach so, irgendwie muss der Ärger nun mal raus.

Trotzdem, wir bleiben hartnäckig, immerhin haben wir schon sehr viel Zeit in die Geschichte investiert. Also gönnen wir uns eine Pause, ein, zwei Tage Abstand, und machen weiter, wir hören zu, auch wenn es anstrengend ist, wir lassen den Figuren ab und zu ihren Willen, auch wenn wir das anders geplant haben, wir meckern nicht, wenn sie beim Einkauf unsere Lieblingsmarmelade vergessen haben, und irgendwie ist das dann doch wieder spannend, sogar die Kerzen flackern wieder. Einfach, weil wir uns Mühe geben. Wir reden miteinander, die Geschichte und wir, sogar mehr als am Anfang. Da waren wir mit anderen Dingen beschäftigt und haben gar nicht so auf die tieferen Ebenen geachtet, die immer mehr in die Story fließen, die alles miteinander verbinden.

Bis zum Ende ist es ein turbulentes Auf und Ab. Wir haben gute Phasen, in denen das Schreiben wie von selbst geht, und schlechte, in denen wir so tun, als würden wir den uns anklagend anstarrenden Laptop gar nicht sehen. Manchmal schweigen wir uns auch an, sehr lange sogar. Der Sex ist so okay.

Dann, endlich, ist es vorbei. Wir sind traurig darüber, wir vermissen die Figuren und die Nähe des Anfangs. Ein bisschen werden wir sie immer lieben, vielleicht sogar mehr als während des Schreibens. Wir werden sie nie vergessen. Wir sind glücklich, dass wir nun wieder frei sind und offen für neue Geschichten. Wir trinken zu viel Alkohol, flirten mit ein paar anderen Ideen. Manche reichen nur für eine Nacht.

Bis der nächste Funken kommt.

 

 

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2 Comments

  1. Sehr treffend und schön beschrieben – hat mir heute Nachmittag ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Meine Projekte und ich unterschreiben das so 🙂

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